Steinkjerorgeln Die Hersteller Die Orgeln Die Musik Die Verbreitung Musikspieler
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DIE STEINKJERORGELN

Digital museum und
Online-Präsentation
Die Drehorgeln aus Steinkjer

Als Steinkjerorgeln, genannt "Steinkjerpositiven" im Norwegen, bezeichnen wir die Walzenorgeln, die in der Gegend von Steinkjer in Norwegen produziert wurden. Andere europäische Walzenorgeln aus derselben Herstellungszeit wie die Steinkjerorgeln waren normalerweise sehr viel leichter und deshalb einfacher zu transportieren. Die Steinkjerorgel, vor allen Dingen die beiden größeren Bauarten ähneln mehr beweglichen Großdrehorgeln im Vergleich dazu. Die Herstellungsqualität der Instrumente war sicherlich vergleichbar mit allen Instrumenten aus dieser Zeit und das ist auch der Grund, warum so viele bis heute überlebt haben. Die Steinkjerorgeln haben aufgrund ihrer für Norwegen hohen Produktionszahlen einen Standard in der norwegischen Drehorgeltradition eingenommen und der Name Steinkjerorgel war deshalb mehr oder weniger der etablierte Name für alle mechanischen Orgeln, die in Norwegen zu dieser Zeit gebaut wurden. Ungefähr 600 Orgeln sind in der Zeit von 1850 bis 1910 in Steinkjer gebaut worden.

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Wie könnte eine so grosse
Instrumentenproduktion
in Steinkjer stattfinden?

Es ist recht gut dokumentiert, dass viele ausländische Reisende mit Drehorgeln den mittleren Teil von Norwegen ab 1829 besucht haben. Diese Reisenden kamen zuerst nach Levanger, wo alljährlich im März und im Dezember ein Markt stattfand.


Bild vom Levanger-Markt aus der Sammlung von Harald Renbjør, Levanger Fotomuseum.

Von dort nahmen sie den Weg nach Steinkjer mit ihren Instrumenten. In Beitstad verstarb ein italienischer Drehorgelmusikant und der Instrumentenbauer Thomas Fosnæs studierte daraufhin das hinterlassene Instrument. Es wurde behauptet, dass dies der Anlass war, der um 1850 die Idee bei Thomas entstehen ließ, dass er die Produktion eigener Instrumente aufnehmen könnte.

Allerdings ist ziemlich sicher, dass Thomas bereits vor dieser Episode Drehorgeln herstellte, und es ist sicherlich gut möglich, dass die Durchreisenden Reparaturen und Wartung für ihre Instrumente benötigten, und deshalb schon vorher seine Hilfe als Uhrmacher und Musikant suchten. Dies ist wahrscheinlich eher der zündende Funke, der zum Beginn der Drehorgelproduktion in Steinkjer führte.


Steinkjer Stadtzentrum im Jahr 1905.

Nachdem Thomas 1849 nach Steinkjer gezogen war, stellte er seine erste Walzenorgel in Steinkjer kurz nach 1850 her. Um Teile für seine Orgeln zu erhalten, knüpfte er frühzeitig den Kontakt mit den Tharaldsen-Brüdern, die als professionelle Gürtler und Kupferschmiede in Steinkjer tätig waren. Die beiden Tharaldsen-Brüder waren gute Handwerker, was die Arbeiten in Messing anbelangt, diesen Beruf hatte bereits ihr Vater ausgeübt. Sie waren aber auch talentierte Zimmerleute, eine Fähigkeit, die natürlich grundlegend sein sollte, um in der beginnenden Instrumentenproduktion eine zentrale Rolle einzunehmen. Die Drehorgel mit der Nummer 20 von Tharaldsen wurde im Jahr 1866 gebaut, so dass zu vermuten ist, das Fosnæs und die Tharaldsen-Brüder schon einige Jahre früher in Kontakt kamen, nachdem Fosnæs nach Steinkjer gezogen war. Wahrscheinlich entstand eine so hohe Nachfrage nach den Steinkjerorgeln, dass Christian nach Thomas ebenfalls mit der Produktion von Drehorgeln begann.

Offensichtlich waren aber die Tharaldsen-Brüder nicht musikalisch genug, um die Walzen für die Drehorgeln zu bestiften, außerdem war die Produktion so groß, dass mehr Handwerker benötigt wurden, um diese Arbeiten durchzuführen. Jakob Schjefte lernte bei Fosnæs das Geigenspiel und wurde wohl auf diesem Weg in die Produktion eingebunden, vorher war Thomas der einzige, der die Orgelwalzen bestiften konnte.

Theodor Bentzen war bereits ein bekannter Geigenbauer und es ist sehr wahrscheinlich, dass er mit Thomas Kontakt hatte, weil sie über das Geigenspiel einige gemeinsame musikalische Interessen hatten. Die Verbindung zwischen Bentzen und den anderen Herstellern sind gut dokumentiert und auch seine Tätigkeit als Orgelbauer ist sehr bekannt.

Jacob Schjefte hat früh mit Ola Fjeldhaug zusammengearbeitet und Ola geholfen die arrangierte Musik auf die Walzen zu schlagen. Ola war ein Kleinpächter in Fjellhaugen onder By und hat im Sommer in der Ziegelei in By gearbeitet. Im Winter hat er dagegen auf seinem gepachteten Land und im Wald gearbeitet. In seiner Freizeit ist Ola oft in seiner Werkstatt zu finden gewesen, in der er Möbel und Geigen hergestellt hat, bevor er in Arbeitsteilung mit Jacob Drehorgeln produzierte, er war für die Mechanik zuständig und Jacob für die Arrangements der Walzen. Dies war auch die Basis für die groß angelegte Zusammenarbeit in der Produktion der Steinkjerorgel, vor allem zwischen Thomas, Christian, Jacob und Theodor, wobei Christian und sein Bruder Tørris sich um die Mechanik und die Gehäuse und Jacob und Theodor sich um die Bestiftung der Walzen kümmerten. Die Nachfrage nach Walzen war so immens, dass auch Ole Ramstad, Jacobs Schwiegersohn, zwischen 1881 und 1883 mit der Bestiftung beschäftigt war, immerhin ein Zeitraum von 2 Jahren. Thomas, Christian, Jacob und Theodor haben insgesamt über 500 Orgeln gebaut, dabei etwas mehr als 400 Orgeln unter dem Herstellernamen von Christian Tharaldsen. Diese Produktion erfolgte in einem Zeitraum von mehr als 50 Jahren.


Porträt eines Drehorgelspielers, Foto aus den Sammlungen des Nordlandsmuseet.

Von Jakob Schjefte signierte, erhaltene Orgeln unterscheiden sich kaum von den anderen Steinkjerorgeln, die Christian Tharaldsen zugeschrieben werden. Es sind keine Orgeln erhalten, die von Theodor Bentzen signiert sind, aber dass er tatsächlich Orgeln hergestellt hat, ist überliefert. Die Einnahmen aus der Arbeit an den Orgeln erlaubte den Herstellern, das Land, auf dem sie bislang als Pächter lebten, zu kaufen. Die Herstellung der Orgeln konnte ihnen also genügend Einnahmen sichern, um aus dem Status des Kleinpächters zum Grundbesitzer zu werden, Christian Tharaldsen auf seiner vorherigen Pacht in Fergeland und Theodor Bentzen in Trana. Jacob Schjefte wurde so bis zu seinem Lebensende zum Stadtbürger von Steinkjer im heutigen Stadtteil "Posebyen". Die Herkunft des Namens Posebyen ist nicht eindeutig geklärt, nachdem das Gebiet früher militärisch genutzt wurde, könnte die Bezeichnung aus dem französischen „Repos“ kommen, nachdem das Gebiet früher als Militärlager genutzt wurde.

Wie groß die Produktion von Steinkjerorgel von Ole Fjeldhaug war, ist nicht bekannt, aber einige seiner Orgeln sind sicher nachgewiesen. Er blieb aber sein Leben lang Kleinpächter in Fjellhaugen. Sowohl Fosnæs als auch Tharaldsen waren sozial engagierte Männer und man kann sie durchaus als Unternehmerpersönlichkeiten ihrer Zeit einordnen.

Jacob Schjefte war wohl auch gewerkschaftlich aktiv und gehört wahrscheinlich zu derselben Kategorie dieser frühen Kleinunternehmer. Diese 3 Männer gaben den Anstoß für viele weitere Hersteller in Steinkjer, die eine Gesamtproduktion von mehr als 600 Orgeln hergestellt haben. Diese Produktion stellt gleichzeitig auch eine durchaus beachtliche Geldsumme dar, in heutige Währung umgerechnet, wird der Wert der Orgeln mehr als 10 Millionen norwegische Kronen (etwa eine Million Euro) betragen haben. Dieses Kapital gab den Kleinpächtern in den Gemeinden die Möglichkeit, zu Grundbesitzern zu werden. So erlebten diese Menschen in vielerlei Hinsicht das große Versprechen der Industrialisierung, zu Geld zu kommen und damit Bürgerrechte zu erhalten.

Mehr als 14 Menschen haben in der Gegend von und in Steinkjer selbst Drehorgeln produziert.

Steinkjerdrehorgeln wurden auch in den Dörfern um Steinkjer gebaut.


Das alte Beitstaden um die Jahrhundertwende.

Wir sollten auch andere Orgelbauer in der Gegend um Steinkjer erwähnen, obwohl nicht bekannt ist, ob zwischen diesen und den Herstellern aus Steinkjer irgendeine Kooperation stattgefunden hat. Paul Olsen Landsem in Malm war ein vielfach begabter Handwerker und hat bis 1873, als er nach Amerika emigrierte, Drehorgeln hergestellt. Peter and Odin Tverås sind auch als Orgelbauer bekannt geworden, obwohl sie nicht in der Lage waren, Walzen zu bestiften. Nachdem die drei genannten Paul, Peter und Odin Nachbarn waren, werden sie wahrscheinlich auf der Basis dieser Nachbarschaft kooperiert haben. Ole Ramstadt stammte ursprünglich auch aus Tverås und es mag hier durchaus Verbindungen gegeben haben. Wir vermuten, dass Paul O. Landsem recht früh mit Thomas Fosnæs bekannt war und es ist sehr wahrscheinlich, dass Paul von Thomas beeinflusst wurde, mit dem Instrumentenbau zu beginnen. Paul Landsem wird auch eine gewisse berufliche Unstetigkeit nachgesagt, so dass dies nicht unmöglich erscheint.

Nils Lorntsen Opdahl, der nicht weit entfernt wohnte, war ebenfalls dafür bekannt, dass er durchaus in der Lage war, Drehorgeln herzustellen und sogar die erforderlichen Walzen zu bestiften. Es ist möglich und sicherlich sehr wahrscheinlich, dass zwischen diesen 4 eine Zusammenarbeit stattfand, um die Orgeln zu vervollständigen. Jacob Lorentz Bredesmo aus Snåsa hat einige Drehorgeln hergestellt, von denen eine auch im Museum in Snåsa ausgestellt wird, eine andere dieser Orgeln hat eine spannende Geschichte durch ihre Lieder mit christlichem Inhalt.


Der Schifffahrt von Steinkjer war die Grundlage für die Anzahl und Verteilung der Steinkjerorgel.

Natürlich gab es keinen Absatzmarkt, um die gesamte Produktion von mehr als 500 Orgeln in Steinkjer zu verkaufen oder auch nur in den Städten und Gemeinden anderswo in Innherred. Die Produktion der Orgeln fand in der gleichen Zeit statt, als in dieser Provinz auch eine sehr große Menge von Segelschiffen, deren Bauart Jekts genannt wurde, im Trondheimsfjord und im Beitstadfjord hergestellt wurden. Die Konstruktion von mehr als 1000 dieser Jekts, die in ganz Norwegen Absatz fanden, bot natürlich auch die Möglichkeit für einen großangelegten Export von Steinkjerorgeln, vor allen Dingen in die nördlicheren Regionen. Der Handel, für den Jekts eingesetzt wurden, war dreiseitig: Einerseits wurde Stamm- und Bauholz nach Norden verschifft, das dort wiederum gegen Fisch als Fracht Richtung Süden getauscht wurde, der nach Süden bis nach Bergen verkauft wurde und von dort mit anderen Handelswaren auf dem Rückweg wieder bis nach Trøndelag. Dies gab den Orgelbauern weite Vertriebskanäle und einen recht großen Markt, in dem sie agieren konnten. Nur diesem Umstand war es zu verdanken, dass die hohen Produktionszahlen über einen Zeitraum von 50 Jahren überhaupt erreicht werden konnten.

Die Musik der Steinkjerorgel.

Das originale Repertoire der Steinkjerorgel war zuerst einmal die traditionelle, lokale Musik der Geiger in der Gegend um Steinkjer. Es bestand zum Großteil aus Rundtänzen und Walzern. Zusätzlich zu erwähnen sind Polka, Rheinländer (auch als "Schottisch" bekannt) und Mazurkas. Als die Popularität der Steinkjerorgel zunahm, wuchs natürlich auch die Nachfrage nach einem größeren Repertoire. Mit der Zeit wurden sogenannte "deutsche Tänze" populär, so wurden "Rheinländer" schon 1866 auf die Walzen geschlagen, während die Zahl der nordischen Polkas abnahm. Leider haben sich weder die Titel der Stücke noch ihre Herkunft erhalten..

Die Stiftwalzen der Orgeln sind einzigartige Beispiele früher erhaltener Musikaufzeichnung aus einer Zeit, in der die Weitergabe von Musikstücken größtenteils durch Zuhören, Nachspielen und gegenseitigem Auswendiglernen der Stücke üblich war und sind deshalb in kultureller und musikhistorischer Weise von hoher Bedeutung

Es gibt natürlich auch eine Menge Drehorgeln aus der Entstehungszeit der Steinkjerorgeln aus dem Rest Europas. Diese waren aber meist kleinere Instrumente, viel leichter in Bauart und transportabler, während die Steinkjerorgeln, vor allen Dingen in den beiden größeren Ausführungen, mehr oder weniger als transportable Großorgeln erscheinen. Die Steinkjerorgeln waren konstruktiv langlebiger als die leichteren Instrumente aus Italien oder Deutschland. Darum haben auch noch relativ viele dieser Instrumente bis zum heutigen Tag überlebt und ihre Musik ist erhalten geblieben. Etwa 1.200 Melodien von den verschiedensten Orgeln in Norwegen konnten aufgezeichnet werden, von immerhin 50 bis 60 heute noch existierenden Instrumenten. 28 dieser Meldodien wurden von Charles Karlsen mit Hilfe von Petter Andreas Røstad in Buchform veröffentlicht.

Popularisierung in den siebziger Jahren.

Otto Nilsen vom NRK (norsk rikskringkasting, Norwegischer Rundfunk) kam in den 1970er Jahren nach Steinkjer, um eine Radioreportage über die Steinkjerorgeln aufzunehmen. Leider war aber tatsächlich niemand mehr da, der ihm helfen konnte, Licht in das Dunkel der Geschichte dieser Instrumente zu bringen. Davon inspiriert, beschloss Charles Karlsen, die Geschichte der Steinkjerorgel von Grund auf zu erforschen. Seine Forschungsergebnisse sollten gemeinsam mit Otto Nilsens Radiosendungen zum gleichen Thema zu einem großen allgemeinen Interesse für diese seltenen und vergessenen Instrumente, aber auch zu unerwarteten Wertsteigerungen dieser Orgeln führen, was den Nebeneffekt hatte, dass Charles es sich nie erlauben konnte, eine der Orgeln für sich selbst zu erwerben.

Otto Nilsen vom Norwegischen Rundfunk.

Otto Nilsen brachte den Steinkjerorgeln ein großes Interesse entgegen. Während einer Radiosendung hat er ein Interview mit einem Besitzer einer Orgel geführt und auch nach einem Verkaufspreis gefragt. Der Besitzer verlangte 15.000 norwegische Kronen (heute etwa 1350 Euro) für sein Instrument, weil er sich ein neues Auto anschaffen wollte. Darauf entgegnete ihm Otto Nilsen, dass er heutzutage (das war in den 70er Jahren!) diesen Preis problemlos mehrfach erhalten könnte.

Nach dieser Zeit ist das Interesse an den Steinkjerorgeln buchstäblich explodiert. Praktisch jeder Besitzer, der noch ein Instrument hatte, hat es reparieren oder restaurieren lassen. Das hat sich, wie gesagt, in den frühen 70er Jahren zugetragen und sagt vielleicht eher etwas aus zum Verhältnis von Menschen zu Geld und weniger zu ihrem Verhältnis zur Kultur. Immerhin führte das dazu, dass die Instrumente, nachdem sie tatsächlich etwas wert waren, auch wieder wertgeschätzt wurden und heutzutage als wertvoller Besitz wahrgenommen werden.

Die Dokumentation
der Geschichte der Instrumente

Charles Karlsen entschloss sich, ein großes Projekt zur Erforschung der Geschichte der Steinkjerorgeln in Angriff zu nehmen und den Verbleib der noch vorhandenen Instrumente zu dokumentieren. Nachdem Jann-Magnar Fiskvik viele der alten Orgeln restauriert hatte, konnte er Charles wertvolle Informationen zu dieser Arbeit beisteuern. Auch haben Bjørn Aleksander Bratberg und Åse Mørk mit wissenschaftlichen Arbeiten zur Erforschung der Instrumente beigetragen und Forschungsergebnisse im Rahmen von Masterarbeiten veröffentlicht. Harald Sakshaug hat am Ende die Geschichte und die Menschen, die hinter der Produktion standen, zu ergründen und auch eine Erklärung versucht, wie eine solche große produzierte Menge an Orgeln in einer relativ kleinen Stadt überhaupt zustande kommen konnte. Sein digitales Museum hat all diese Informationen zu einer sehenswerten Online-Präsentation zusammengefasst.